
„Erst viel zu spät erkannte ich, wie kalt er ist“
Es traf mich wie ein Blitzschlag. Ich war auf der Kartbahn und rasselte im Ziel mit einem Typen zusammen. Wir sahen uns an, und ich hatte das Gefühl, er blickte nicht nur in meine Augen, sondern direkt in meine Seele. Wir lachten uns kaputt, weil wir die Karts kaum voneinander lösen konnten. Kitschiger hätte es in einem Hollywood-Streifen auch nicht zugehen können. Um es kurz zu machen: Wir tauschten Telefonnummern, trafen uns – es war toll. Er hörte mir zu, erzählte Erschütterndes von seiner traurigen Kindheit. Seine Mutter war kaum für ihn da, sein Vater hatte geprügelt, wenn er überhaupt vorbeikam. Der Stiefvater sei ein Chauvinist. So wolle er nie werden, sagte Holger. Der Mann sei ein absolut abschreckendes Beispiel. Ich pendelte irgendwo zwischen tiefem Mitgefühl und Begeisterung über sein Vertrauen. Damit hatte er mich im Sturm erobert. Innerhalb kürzester Zeit zog er bei mir ein. Er bügelte, putzte Fenster, brachte mir Geschenke. Nach zwei Monaten machte er mir einen Heiratsantrag. Ich sei die Frau seines Lebens.
„Er lag mir zu Füßen, wollte mich vom Fleck weg heiraten und unbedingt Kinder mit mir haben“
In den folgenden Monaten habe ich vieles ignoriert, das weiß ich heute. Wäre ich bei klarem Verstand gewesen, hätte es mich stutzig machen sollen, dass ich andere Männer nicht einmal ansehen durfte. Dann fürchtete er schon um unsere große Liebe, wie er mir beschwörend erklärte. Er selbst flirtete auf Teufel komm raus mit der Bedienung im Restaurant. Als ich ihn daraufhin ansprach, sagte er, das sei doch totaler Quatsch, das würde ich völlig falsch sehen. Mich hätte auch stutzig machen müssen, dass er mich ausnahm wie eine Weihnachtsgans. Ich durfte alles bezahlen, obwohl wir beide gleich viel verdienten, er als Versicherungskaufmann, ich als Medienberaterin. Er hatte im Restaurant einfach kein Geld dabei, und es war ihm nie peinlich. Und ich hätte auch merken müssen, dass er meine Freunde vergraulte, einen nach dem anderen. Teils mochten sie Holger nicht und blieben weg. Teils lästerte er so sehr über sie, dass ich tatsächlich unsicher wurde. Hatte er vielleicht recht? Waren sie nicht gut für mich? Nach einem Jahr heirateten wir. Er schwor mir ewiger Liebe. Es war total romantisch. Aber noch in der Hochzeitsnacht machte er mir eine gewaltige Szene. Ich hatte mich nach seinem Geschmack viel zu lange mit seinem besten Freund unterhalten. Wie peinlich ich doch wäre, das auf der eigenen Hochzeit zu tun. Stimmte das? War das blöd von mir gewesen?
„Irgendwann sah ich ganz klar: Ihm ist nichts peinlich, er kann Emotionen nicht nachvollziehen“
Und es ging weiter. Als ich eine Fortbildung im psychologischen Bereich machte und abends nach Hause kam, sagte er zur Begrüßung: ,Lass mich mit deinem Psycho-Scheiß in Ruhe.‘ Und starrte auf den Fernseher, sein einziges Hobby. Im Beisein von den wenigen Bekannten, die wir noch hatten, fuhr er mir über den Mund: ,Ach, machst du wieder einen auf oberschlau?‘ Außerdem drehte er mir ständig die Worte im Mund rum. Ich zweifelte immer mehr an mir selbst, während es ihm einfach Spaß zu machen schien, meine Verunsicherung zu sehen. Ich las kein Mitgefühl in seinen Augen, nichts. Statt mich aufzulehnen, blieb ich und sprach immer weniger. Ich, die sonst nicht auf den Mund gefallen war. Ich erkannte mich selbst kaum noch. Aber ich konnte ihn einfach nicht loslassen. Ich war doch die Liebe seines Lebens und hatte ihm versprochen, zu bleiben. Das war damals mein Gedankengang. Tatsächlich brauchte es einen heftigen Auslöser, damit ich endlich gehen konnte. Ich erfuhr, dass Holger mich betrog. Ich stellte ihn wütend zur Rede. Er sagte nur: ,Du spinnst mal wieder.‘ Das hat etwas in mir bewegt. In diesem Moment wurde mir klar, dass er sich nicht im Geringsten schuldig fühlt. Ihm ist nichts peinlich. Und er konnte meine Gefühlslage überhaupt nicht nachvollziehen. Er hatte mich nie geliebt, denn dazu ist er nicht in der Lage. Ich bin gegangen, er hat unbeteiligt zugeschaut. Nur ein Jahr später war er wieder verheiratet. Er weiß einfach, wie es geht ...“