Kinder aus dem Haus — und was wird jetzt aus uns?

Kinder aus dem Haus — und was wird jetzt aus uns?

Plötzlich kein Trubel mehr: Bettina fällt in ein tiefes Loch, ihr Mann macht einfach weiter wie bisher – und ihre langjährige Ehe gerät darüber stark ins Wanken.

Wenn Kinder ausziehen, müssen Eltern ihre Rolle neu definieren© iStock/courtneyk
Wenn die Kinder ausziehen, müssen Eltern ihre Rolle erstmal wieder neu definieren

Ein letztes Mal kamen Melina und Henry die Treppe herunter. Jeder hatte einen Karton in den Händen. ‚Tataaa, das sind die Letzten‘, jubelten die beiden. Sie wurden als Letztes in den Umzugstransporter gequetscht, die Türen wurden scheppernd zugeschlagen. Jetzt konnte es losgehen. Meine Zwillinge, 19 Jahre alt, auf dem Weg zum Studium in Frankfurt, bereit für ein eigenes Leben. Mit gemischten Gefühlen winkte ich den beiden hinterher, bis der Wagen um die Ecke bog. Ich war stolz auf die beiden, dass sie selbstbewusst in die große weite Welt zogen, dazu traurig, weil sie mich verließen, und froh, weil ich nun endlich mal Ruhe hatte. Kein Lärm, kein Stress, kein Meckern, kein Streiten mehr.

Und endlich hatten Bernd und ich wieder Zeit füreinander. Darauf freute ich mich. Allerdings war Bernd gerade gar nicht da. Die Zweisamkeit musste bis etwa 19 Uhr warten. Dann kam er von der Arbeit nach Hause – passend zum Abendbrot. An dem Tag auch. Als er die Tür aufschloss, rief er laut ,Hallo‘ – wie immer. Nur dieses Mal antwortete eben nur ich. Wir setzten uns an den Esstisch, und ich erzählte ihm ausführlich vom Zusammenpacken der Zwillinge und wie alles gelaufen war. ,Ist doch toll‘, sagte Bernd. ,Und wie war es im Büro?‘, hakte ich nach. ,Nichts Besonderes. Wie immer.‘ Und dann schwiegen wir beide.

Im Normalfall hätten nun die Zwillinge das Gespräch am Tisch bestritten. Jetzt herrschte Stille. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten hörte ich einfach nichts. Und ich merkte, dass ich fieberhaft nach Themen suchte, die ich ansprechen konnte. Aber mir fiel nichts ein. ,Es ist so still‘, sagte ich. ,Ja, das stimmt. Ist doch auch mal schön.‘ War Bernd eigentlich immer so schweigsam, fragte ich mich. Vermutlich ja, mir war es nur nicht aufgefallen. Die Zwillinge hatten alles übertönt. Bernd stand auf und machte den Fernseher an. Die Nachrichten. Ich räumte ab und setzte mich dazu.

Am nächsten Morgen klingelte der Wecker wie immer um 7 Uhr. Die Handgriffe funktionierten vollautomatisch. Ich deckte den Tisch nur für zwei. Um halb acht kam Bernd herein, stürzte den Kaffee herunter, gab mir einen Kuss auf die Wange und sagte wie jeden Morgen: ,Ich muss los, bis heute Abend‘, und weg war er.

Für Bernd war alles wie immer, für mich war alles anders.

Seitdem die Zwillinge auf der Welt waren, hatte ich nicht mehr gearbeitet. Haushalt und zwei quirlige Kinder waren mir genug, und das Geld, das Bernd als Ingenieur verdiente, reichte für uns alle. Außerdem engagierte ich mich in der Schule, war jahrelang Elternvertreterin, organisierte Feste, half überall mit und betreute die Schulbücherei. Die Aufgaben hatte ich zum Schuljahresende aufgegeben, als die Zwillinge ihr Abi machten. Sie fehlten mir zwar, aber nach so vielen Jahren war es auch genug.

Doch die Stille und Leere waren für mich doppelt spürbar: Kinder weg, Aufgaben weg. Und mein Ehemann? Tatsache war, dass Bernds gewohnter Alltag weiterlief. Und mir war schrecklich langweilig. Zwei Sachen mussten passieren: Zum einen musste ich etwas für mich machen und mir eine neue Beschäftigung suchen, zum anderen mussten Bernd und ich das ,Wir‘ wiederfinden. Ich kaufte Kinokarten und legte sie ihm neben den Teller. ,Ja, schön‘, sagte er. ,Aber freitags spiele ich doch immer mit Jens Tennis.‘ Ich war enttäuscht. Konnte er nicht einmal was für eine gemeinsame Unternehmung ausfallen lassen? Das sollte ihm doch auch wichtig sein?! Ihm musste doch auffallen, dass wir gerade überhaupt keine gemeinsame Ebene hatten. Oder?

Ich machte eine Umfrage unter meinen Freundinnen, bei denen die Situation ähnlich war. Eine arbeitete schon seit Jahren Vollzeit und meinte, es sei toll, abends endlich Ruhe zu haben. Die andere erzählte, dass sie und ihr Mann vor Jahren mit dem Tanzen begonnen hätten – toll, so ein gemeinsames Hobby. Die dritte berichtete von ihren verschiedenen Kursen, die sie jetzt belegen würde. Sie hätte tagsüber genug Beschäftigung und gute Gespräche.

Ich erinnerte mich an früher, wie schön es zwischen uns war. Abends setzte ich mich zu ihm aufs Sofa und schaltete den Fernseher aus.

,Wir müssen reden!‘

Ich erzählte ihm ganz offen, wie es mir ging und dass ich Angst um unsere Ehe hätte. Bislang hatten wir die Kinder als gemeinsame Aufgabe. Das war nun vorbei. ,Wir waren immer ein gutes Team. Und jetzt haben wir uns nichts zu sagen. Ich will nicht, dass wir nebeneinanderher leben. Das ist schrecklich. Wir lieben uns doch, oder?!‘ – ,Natürlich‘, sagte Bernd. Und wirkte wirklich erstaunt. So hatte er das Ganze noch gar nicht gesehen. Ihm sei das alles gar nicht bewusst gewesen, weil sich für ihn nicht viel verändert hätte. Wir ließen die vergangenen Jahre Revue passieren. Tatsächlich hatten wir nichts allein unternommen. Kein romantisches Wochenende ohne Kinder, kein Tanzkurs, kein Kinoabend. Wir waren beide fassungslos, dass wir unsere Ehe und Zweisamkeit derart aufs Spiel gesetzt hatten.

Ich erzählte ihm, dass ich mir eine neue Aufgabe suchen wolle, und er konnte es gut verstehen. ,Du hast viel entspannter gewirkt, als du in der Schule gewirbelt hast.‘ Er versprach mir außerdem, auch mal auf etwas zu verzichten und stattdessen mit mir loszugehen. Wir sollten uns ein gemeinsames Hobby suchen, waren wir uns einig. Und wir schworen uns hoch und heilig, mehr miteinander zu reden. Ich finde, das ist schon mal ein guter Anfang für unser Leben zu zweit.“

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